„Wolf“ am Theater Magdeburg

Saša Stanišić hat mit „Wolf“ einen Jugendroman geschrieben, der trotz seines Generalthemas – Mobbing in einem Feriencamp – dennoch atmosphärisch eher heiter daher kommt. Er drückt nicht zu Boden. Ein Beispiel ist der Beginn des Kapitels „Lagerfeuer“: „Der Abend kommt, und jemand, der kaum Gitarre spielen und kaum singen kann, spielt Gitarre und singt.“ Kennt jede und jeder. Stanišić erzählt die Geschichte von zwei Jungen: Der eine – Jörg – wird von einer Gruppe anderer Jungs ständig gequält und gedemütigt, der andere – Kemi – muss sich dazu irgendwie verhalten. Die Betreuerinnen und Betreuer im Camp können keine Hilfe bieten. Das lesenswerte Buch ist unter anderem deshalb so raffiniert, weil sein Autor viele Leerstellen lässt – man muss sich auch als Leserin und Leser positionieren.

Nun rufen so ein Thema und so ein Text regelrecht nach einer Umsetzung im Theater – so wie das beispielsweise am Nürnberger Theater Pfütze mit der Dramatisierung von Enne Koens „Ich bin Vincent und ich habe keine Angst“ ziemlich perfekt gelungen ist. Am Theater Magdeburg ist der „Wolf“ jetzt auf die Bühne getrabt. Klar: Die Geschichte muss gestrafft werden und wird dadurch zwangsläufig um einige Subtilitäten ärmer. Das liegt in der Natur des Vorgehens. Klar ist aber auch: Der Kern der Geschichte, ihr Charme des Trotzdems und des Trotzes, bleibt, und die zahlreichen Möglichkeiten des inneren Andockens an die Handlung, die das Buch bietet, sind auch auf der Bühne da.

Vor allem Stanišićs Erzählmethode, sehr elegant seine grüblerische Ich-Hauptfigur immer eine leicht abgehobene, leicht räsonierende Position zur Geschichte einnehmen zu lassen, als Hort allen Zweifels zu zeigen und damit zugleich als einen Menschen zu kennzeichnen, der Mut bewusst fassen muss und lernt, den Ausgang einer Geschichte selbst mitbestimmen zu können, ist in der Fassung von Clara Weyde (Regie) und Bastian Lomsché (Dramaturgie) als Erzählkern geblieben. Auch die Ausflüge ins Phantastische sind da, wobei genau hier die Theaterbühne ihre besonderen Fähigkeiten unter Beweis stellen kann: Nachts trabt als Nachtmahr ein Wolf ans Nachtlager als Verkörperung aller inneren Kräfte und Ängste zugleich, und im Wald regiert Oberhirsch Dietmar.

Im Grunde ist es ja witzig: Eine Figur im Roman spiegelt zwangsläufig Erfahrungen des Autors, die dann eine Rolle auf der Bühne wird, von einem Schauspieler verkörpert. Da plätschern also ganz schön viele Facetten aus diesem Kemi, den Philipp Kronenberg mit all dem natürlichen Charme ausstattet, den die Figur braucht (und alle anderen im Ensemble tun das mit ihren Figuren auch). Es plätschert ohnehin viel auf der Bühne (von Katherina Philipp), weil die ein Wasserbecken-Geviert ist, in dem sich alle von Anfang an nass machen und dergestalt im selben Nicht-Boot sitzen: Da kann dann frei assoziiert werden, was das bedeuten soll; zu hundert Prozent klar wird es nicht. Stört aber auch nicht, weil’s die Handlung aufs Bassin konzentriert.

Was auch imponiert im Buch und auf der Bühne: Es wird sich nicht an die Jugendlichen angeschmiegt. Kein künstlicher Jargon. Keine putzigen Kostüme (die sind von Clemes Leander). Man nimmt sie einfach ernst als Gegenüber. Und kann ihnen so erklären, dass es eigentlich viel zu dumm ist, Menschen, die ein bisschen anders sind, auszugrenzen und, wie Stanišić schreibt, noch andersiger zu machen. Insofern ist das Jugendstück ab zehn Jahren eine sehr gute Ergänzung zur fulminanten Inszenierung von Martin Sperrs „Jagdszenen“ durch Regisseurin Julia Prechsl, wo’s im Kern um nichts anderes geht.

Foto: Gianmarco Bresadola